So viel Sti(e)l muss sein

Reicht nicht auch ein einfaches Glas? Leider nein. Nichts gegen Zurückhaltung und Einfachheit, aber ausgesuchte Tropfen gehören in das passende Glas. Schließlich sorgen erst sie dafür, dass der Geschmack voll zur Geltung kommt. Und ein Augenschmaus sind sie dazu.

Schicke Gläser müssen transparent sein? Das finden wir nicht. Becher in Rot, Blau, Grün, Grau, Purple oder auch Bernstein setzen Cocktails oder Longdrinks gekonnt in Szene – in Bars genauso wie Zuhause. Für Softdrinks und Wasser eignen sie sich ebenso. In zwei Größen sind diese Exemplare zu haben und vertragen sich durchaus mit ihren durchsichtigen Verwandten, die eher auf Understatement denn auf fröhliche Farbigkeit setzen. Manchmal ist gerade eine solche Kombination sehr schön.

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Bei Weingläsern indes tauchen wir in eine ganz andere Welt ein. Zugegeben, man braucht schon eine gute Nase, um die große Vielfalt der Aromen zu entschlüsseln. Aber mindestens genau so wichtig ist das richtige Gefäß, in dem der gute Tropfen funkelt. Wir haben ja nichts gegen ein wunderbares Picknick in den Bergen mit einem rustikalen Pressglas in der Hand. Aber an einer fein gedeckten Tafel darf es schon etwas edler zugehen. Nach dem Motto: Echte Genießer sind nicht nur beim Wein wählerisch, sondern selbstredend auch bei den Gläsern.

Kurzum: Wer Aroma denkt, muss auch Glas denken. Denn lediglich im richtigen können sich Bukett und Geschmacksstoffe optimal entwickeln. Oder im schönsten Sommelier-Deutsch formuliert: „Nur so können sich die charakteristischen Nuancen eines vielschichtigen Aroma-profils entfalten.“ Wenn das kein glasklares Argument ist! Ein schwerer Roter kann sich in der Champagnerflöte nun mal nicht öffnen. Und das wäre nun wirklich schade.

Warum das so ist? Als grobe Regel kann man sagen: Leichte Weiße benötigen ein kleinvolumiges, schmales Glas, das ihre Frucht zur Geltung bringt, ihren Duft und ihr Aroma konzentriert. Üppigere Weißweine können etwas mehr Luft vertragen und ihre Geschmacksnoten in etwas größeren Gläsern breiter entfalten.

Dennoch wird Weißwein im Vergleich zu voluminöseren Rotwein-Verwandten in einem kleineren Glas mit engerer Öffnung angeboten. Dass dadurch auch weniger Wein eingeschenkt werden kann, ist natürlich gewollt. Schließlich wird ein Weißer kühl getrunken. Man leert einen kleinen Kelch schneller, wohl Temperiertes kann dann aus der Flasche nachgeschenkt werden.

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Weißweingläser sollten in jedem Fall einen Stiel haben. Je länger er ist, desto weiter ist die Hand vom Kelch entfernt. Der Vorteil: Durch die Körperwärme wird die Temperatur des Weines nicht erhöht und der Geschmack dadurch nicht beeinträchtigt. Deshalb gilt: Das Glas stets am Stiel anfassen oder, wer mag, am Boden.

Rotweingläser dagegen sind weniger zierlich als die Vorgänger. Sie haben eine weitere Öffnung und werden um so bauchiger, je ausdrucksstärker ihr Inhalt ist. Durch den breiten Oberflächenspiegel wird der Wein optimal mit Sauerstoff versorgt, er kann sich schneller öffnen, die Aromen haben Raum zur Entfaltung und können sich in ihrer ganzen Fülle zeigen. Nach oben hin verjüngt sich der Kelch, wodurch das Bukett gebündelt die Nase betören kann. Zudem ermöglich die Verjüngung ein Schwenken, welches wiederum Geschmacksstoffe freisetzt. Machen Sie doch einmal eine Glasprobe. Trinken Sie Ihren Lieblingstropfen aus unterschiedlich geformten Gläsern. Sie werden über die Resultate überrascht sein.

Schaumweingläser sind meist schlanke, tulpenförmige Gesellen mit relativ kleiner Öffnung, damit die Kohlensäure nicht allzu schnell entweichen kann. Die der besseren Sorte weisen am Boden einen kleinen, aufgerauten Moussierpunkt auf. Er vereint die Bläschen, die sogenannte Perlage, in der Mitte und lässt sie munter in einer Reihe nach oben steigen.

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Natürlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Das wäre ja auch noch schöner. Die Glashersteller lassen sich mitunter nämlich zu den größten Finessen hinreißen. Das geht soweit, dass die Manufaktur Zwiesel Kristallglas in ihrer Gourmetglas-Serie „Wine Classics“ drei neue, handgefertigte Gläser mit kleinem Bäuchlein für Champagner auf den Markt gebracht hat, für Blanc-de-Blancs-, Rosé- und Prestige-Champagner. Bei letzteren handelt es sich übrigens um ausgesuchte Exemplare, die nur in äußerst kleinen Mengen produziert werden. Klar, dass solche Prickler etwas Besonderes verdient haben. Wenn nicht sie im Glas tänzeln und sich von ihrer feinduftigen, zarten, verführerischen Seite zeigen sollen, wer dann?

Schaumwein-, Rotwein-, Weißwein-, Wassergläser und ein Dekanter gehören zu der erwähnten Reihe. Ihre außergewöhnliche Form hat ihr gleich mehrere Design-Auszeichnungen eingebracht, unter anderem den angesehenen Red Dot Award 2013. Es ist ein Beispiel dafür, wie Genuss und Ästhetik beste Partner werden.

Was sie noch besonders macht? Ihre filigrane Wandstärke! Man hält ein federleichtes Etwas in der Hand. Stilvoll und elegant, mit warmem Glanz.

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Sie stöhnen auf, weil gerade solche Gläser so empfindlich sind. Das sind sie in der Tat. Doch haben sie wiederum auch viel zu bieten. Denn gerade durch ihre Dünnwandigkeit spiegeln sie die Farbe des Weines ganz besonders strahlend wider und lassen die Weinoberfläche geradezu leuchten.

Fragt man Sommeliers, welche Trinkgefäße sie bevorzugen, dann werden nicht selten die „Willsberger Anniversary“-Gläser von Spiegelau genannt. Das Unternehmen aus dem bayerischen Wald, das mittlerweile zu Riedel Glass Works gehört, setzt damit besondere Akzente – zur Freude der großen Gemeinde der Genussmenschen. Im Gegensatz allerdings zur mundgeblasenen Originalserie von Johann Willsberger, die bereits seit über 30 Jahre weltweit auf dem Markt ist, ist es mit „Willsberger Anniversary” gelungen, eine maschinell geblasene und damit deutlich kostengünstigere Variante zu fertigen.

War Spiegelau früher fast ausschließlich auf Weingläser spezialisiert, so hat die Firma sich vor einigen Jahren auf etwas Anderes kapriziert – und produziert in Zusammenarbeit mit renommierten Brauern hochqualitative Biergläser. Weizen-, Lager-, Stoutglas, Biertulpe, Pilzstange – jede Hopfenspezialität schmeckt nun mal aus einem auf sie perfekt zugeschnittenen Glas besonders gut. Das geht soweit, dass Spiegelau sogar ein eigenes IPA-Glas auf den Markt gebracht hat. Da steht dem Schwelgen in India-Pale-Ale nichts mehr entgegen. Für alle, die eine neue Art von Bierkultur entdecken wollen …

Von Kirsten Lehmkuhl
Fotos: Spiegelau, Zwiesel Kristallglas