Mallorca bietet viele fantastische Routen, um mit dem Auto die Insel zu erleben. Die wohl faszinierendste ist die von Sóller bis zum Cap Formentor, zum Ende der Insel-Welt. Die Traumstraße C-710 schlängelt sich über abenteuerliche Kurven an malerischen Dörfern vorbei und über die Pässe des Tramuntana-Gebirges. Dieter Abholte hat die Fahrt gemacht. Sein Urteil: einfach großartig! Vielleicht bekommen Sie nach dieser Reportage auch Lust, die Tour zu fahren. Sie werden die Insel erleben, wie sie nicht viele kennen.
Der Luxus der Langsamkeit kann ja so wundervoll sein – besonders in Sóller auf dem Platz vor der Kirche. Mein „Café solo“ streitet mit dem frischen Croissant, wer am Leckersten duftet. Die Sonne scheint warm vom Himmel und zwingt zum Blinzeln. Durch die offene Tür der Kirche wehen schwach die Klänge der Orgel über den Platz. Am Nebentisch küsst sich fast verstohlen ein verliebtes junges Pärchen. Die Eisenbahn aus Palma rattert vorüber und scheucht Tauben auf. Es ist, als würde die Zeit langsamer laufen – hier auf der anderen Seite des Tramuntana-Gebirges.
Sóller, der Ort mit dem schönen Gotteshaus und den prächtigen Fassaden, mit dem bunten Hafen Port de Sóller ein paar Kilometer weiter und den verführerischen Apfelsinen ist mein Startpunkt für eine besondere Erlebnis-Tour: Von hier bis zur Halbinsel Formentor wird es gehen. Das ist gut eine Tagestour, wenn man nicht hetzt und abends zurück nach Palma will. Also los. Adiós, du Luxus der Langsamkeit. Den letzten Schluck Kaffee und raus aus dem Korbstuhl, der so gemütlich war. Auf dem Weg zum Parkplatz noch ein paar Orangen und ein Glas „Confitura de Melicotón“ (Pfirisch-Konfitüre) im kleinen Laden von „Fet a Sóller“ mitnehmen – fürs nächste Frühstück.
Ein anderer freut sich, dass er meinen Parkplatz bekommt. Noch das Navi einschalten? Unsinn! Man kann sich eigentlich nicht verfahren – immer auf der C-710 nach Norden – und die besserwisserische Stimme, die mich bei jeder scharfen Kurve nervt: „Bitte rechts/links abbiegen!“, brauche ich jetzt auch nicht zwingend.
Sóller im Rücken geht es auch gleich richtig los. Das schmale Band der Straße windet sich in gefühlten 100 Haarnadelkurven hoch in die Berge. Durch das geöffnete Fenster strömt frische Tramuntana-Luft ins Auto und bringt den Duft von Kiefern und Kräutern der Insel mit. Das Spiel von Sonne und Schatten wechselt alle paar Sekunden, und die Blicke in das tief unten liegende Tal sind großartig. Nach fünf Kilometern zeigt ein Wegweiser nach „Fornalutx“. Eigentlich ist das romantische Bergdorf ein Muss. Zumindest für einen Kaffee auf dem kleinen Platz mit dem Brunnen und einen Bummel durch die romantischen Gassen. Aber ich habe ja noch reichlich Kilometer vor mir. Wenn Sie, liebe Leser, Zeit haben, unbedingt dem Wegweiser folgen. Denn Fornalutx gilt als das schönste Dorf der Insel. Es wurde sogar mehrmals zum schönsten ganz Spaniens gekürt …
Drei Kilometer weiter ist ein großer Parkplatz mit Aussicht. „Mirador de Ses Barques“ heißt er. Der Blick bis nach Port de Sóller ist einfach gigantisch. So kann man Mallorca genießen. Besonders jetzt in der noch ruhigeren Zeit, wo nicht Zehntausende von Leihwagen und Tausende von Bussen an jedem besondern Ort massenhaft Menschen ausspucken. Jetzt gehört die Insel noch uns wenigen, die wir hier leben – oder in der Nebensaison Urlaub machen können.
Wieder rein ins Auto, aus dem Fenster noch einen kurzen Plausch mit einem französischen Pärchen, das unterwegs nach Valldemossa ist. Weiter geht’s bergauf und mitten ins Tramuntana-Gebirge. Die Landschaft ist gigantisch hat den Titel „Weltnaturerbe“ wirklich verdient. Kühle dringt durch die geöffneten Scheiben. Kein Wunder. Schließlich bin ich geschätzte 1.000 Meter hoch, können auch „nur“ 600 sein. Aber wen interessieren solchen Banalitäten schon bei diesem gewaltigen Naturerlebnis der Bergwelt. Jedenfalls ist der „Puig Major“ in Sicht, der höchste Berg Mallorcas. Und da kennt man die Zahl genau: Exakt 1.445 Meter sind es von der Meereshöhe bis zum Gipfel. Übrigens: Der höchste Punkt der Insel ist für alle tabu, die keine Uniform tragen – militärisches Sperrgebiet. Der Natur tut es gut, dass dort oben keine Heerscharen von uns Menschen herumlaufen…
Die Traumstraße Mallorcas, die C-710, schlängelt sich jetzt durch Gebiete mit uralten Olivenbäumen und Steineichen. Rechts liegt der Stausee „Embalse de Cúber“, der die Insel mit reinstem Wasser aus den Bergen versorgt. Auf der vom Wind leicht gekräuselten Oberfläche spiegeln sich der blaue Himmel und die grauen Gipfel der Berge. Zwei einsame Angler warten, dass die Fische anbeißen. Rund herum himmlische Ruhe, Steine, Moos und Blumen, die so winzig sind, dass man scharfe Augen braucht. Aber sie blühen von rosé bis lila. Wunder des Lebens, wunderbare Bergwelt. Ich verharre hier für Minuten, lasse das alles auf mich wirken …
Rund fünf Kilometer weiter gibt es den nächsten Stausee, den „Gorg Blau“. Dort sollten Sie auf jeden Fall für ein paar Minuten anhalten. Der Parkplatz liegt oberhalb des Sees und bietet den Blick auf einen weiteren Tramuntana-Gipfel, auf den „Puig de Massanella“, der ist mit 1.365 Meter nur wenig niedriger als der Puig Major. Da müsste man eigentlich mal rauf, vielleicht mit einem Wanderführer …
Weiter geht’s. Die Sonne steigt langsam über die Berge und trennt das Tal vor mir wie mit einem riesigen Messer in zwei Teile: links lichtdurchflutet und freundlich, rechts im Schatten, dunkel und fast drohend. Ich schaue unwillkürlich auf den Anzeiger der Tankfüllung. Hier ohne Sprit liegen zu bleiben, wäre nicht so angenehm. Tank halb voll, alles bestens.
Die Straße führt durch einen kurzen Tunnel, dahinter liegt links die Abzweigung nach „Sa Calobra“. Die rund 15 Kilometer runter bis zum Meer sind grandios – wenn man Haarnadelkurven und vor Aufregung feuchte Hände mag. Hoy no, heute nicht. Auch den Abstieg in die berüchtigte Schlucht „Torrent de Pareis“, der von der C-710 abgeht, erspare ich mir. Ich denke an die schöne Reportage meiner Redaktionsleiterin Kirsten Lehmkuhl und die Traumbilder von Rüdiger Eichhorn (MH, Mai 2011), die den Abstieg gewagt haben. Das war eine grandiose – aber harte Nummer. Irgendwann werde auch ich antreten …
Doch erst fahre ich knappe zehn Kilometer weiter, setze mich gemütlich auf die romantische Terrasse des Restaurants „Es Guix“ und lasse mir das Lamm aus dem Ofen schmecken. Eigentlich gehört dazu ein roter Inselwein. Ich verzichte. Denn die Strecke, die vor mir liegt, ist nicht ohne – die Polizei auch nicht. Bei klammen Staatskassen lauern Guardia Civil und Policia Locál an jeder Ecke und und kassieren nur zu gern, wenn beim Pusten das Röhrchen rot wird. Hände weg vom Alkohol, nicht nur wegen der Polizei! Ach ja, im „Es Guix“ können Sie auch ein Bad im Pool mit kristallklarem Bergwasser nehmen.
Noch einen Kaffee nach dem Lamm, dann wieder ins Auto. Die Kulisse ändert sich. Links und rechts der C-710 bestimmen mächtige Felsen die Landschaft. So, als hätte sie eine Riesenfaust hier hingeworfen. Woher stammen die dicken Brocken? Verwerfungen oder Spuren der Eiszeit – ich weiß es nicht. Es geht in Richtung Pollença, ich mache einen kurzen Umweg zur römischen Brücke aus der Zeit um 500 n. Chr., beeindruckend. Weiter geht es nach Port de Pollença, der bunte Hafenort mit der schönen Hafenmeile liegt in der Sonne. Doch den Bummel über die Meile spare ich mir für den Rückweg auf. Ich will ja zur Halbinsel Formentor, dem nördlichsten Punkt Mallorcas.
Die C-710 wird übrigens ab Pollença zur PM-220 und die hat bis Formentor und über den Bergrücken „Coll de Vela“ eine ganze Menge biestiger Kurven. Während der Fahrer sich am Lenkrad einen Wolf kurbelt, hat der Beifahrer tolle Ausblicke auf Port de Pollença. Aber der Chauffeur kommt auch zu seinem Recht – auf dem „Mirador de Mal Pas“. Der liegt 330 Meter über dem Meer und bietet gigantische Ausblicke auf die Steilküste und die Wellen. Noch schöner ist der Blick ein paar Kilometer weiter vom alten „Piratenturm“ auf dem „Atalaya de Albercutx“ – die ganze Formentor- -Halbinsel liegt mir zu Füßen.
Ein paar Fahrminuten weiter führt der Weg an einer Legende vorbei: am Hotel Formentor mit dem schönen Strand. Lang ist die Liste der Promis aus Show, Wirtschaft und Politik, die hier Urlaub machten. Einen Kaffee in dem Traumhotel mit dem romantischen Garten sollte man sich gönnen. Ich mache es und erinnere mich, wie ich hier vor vielen Jahren Willy Brandt interviewte …
Nach dem Kaffee geht es beschwingt weiter. Die Straße führt aufwärts, dann durch den Tunnel „des Fumat“. Ich fahre gleich danach rechts ran, steige aus und gönne mir einen Blick auf die romantische „Cala Figuera“, bevor es weiter durch die nun fast trostlose Landschaft bis zum Leuchtturm am Cap Formentor geht. „Treffpunkt der Winde“ nennen die Mallorquiner diese zugige Ecke, weil sich hier alle Winde des Mittelmeers treffen. Das Leuchtfeuer steht 210 Meter über dem Meer und schickt seine Strahlen alle 20 Sekunden 21 Seemeilen (rund 40 Kilometer) weit aufs Wasser hinaus um die Seeleute vor der gefährlichen Steilküste zu warnen. Der Blick von hier ist gigantisch. Ich bin so überwältigt von diesem grandiosen Platz, dass meine Augen feucht werden. Aber das liegt bestimmt nur am Wind …
Fotos: Rüdiger Eichhorn und Manfred Ballheimer