Zu den ältesten Bräuchen der Insel gehört der Gesang der Sibil.la in der Mitternachtsmesse an Heiligabend (auf mallorquinisch „Maitines“). Man kann diesen so besonderen Tönen der Prophetin in der Kathedrale von Palma, im Kloster Lluc und dazu in vielen anderen Kirchen Mallorcas lauschen. In der Kathedrale erklingt die Sibil.la um 23 Uhr. Im Kloster Lluc beginnt die Messe um 22 Uhr, in den übrigen Kirchen kann man den Gesang in der Mitternachtsmesse hören.
Worum es geht? Es wird darin das Ende der Welt, das Jüngste Gericht und die Rückkehr Jesu auf die Erde verkündet. Das prophetische Lied, dessen Ursprung bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht, wird nach Ende des Gottesdienstes und vor Beginn der Messe meist von einem etwa zwölfjährigen Jungen oder Mädchen auf der Kanzel a cappella vorgetragen. Dabei ist dieses Kind mit einer Tunika und einem Mantel aus bestickter Seide sowie einer Kopfbedeckung bekleidet. Es hält während des Gesangs mit beiden Händen ein großes Schwert, mit dem es am Ende seiner Darbietung ein Kreuzzeichen über der Kanzel macht.
Der „Cant de la Sibil.la” (Gesang der Prophetin) wurde im Mittelalter als weihnachtliches Singspiel auf der ganzen iberischen Halbinsel aufgeführt. Als König Jaime I. von Katalonien und Aragon Anfang des 13. Jahrhunderts Mallorca eroberte, brachte er diesen Brauch mit in sein neues Königreich. Die erste Niederschrift des Liedes ist in einem Manuskript aus dem Kloster Saint Marcial de Limoges aus dem 10. Jahrhundert erhalten.
Der ursprüngliche Text war auf Latein und wurde dann drei Jahrhunderte später ins Katalanische übersetzt. Das im gesamten Mittelmeerraum verbreitete Lied wurde vom Konzil von Trient Mitte des 16. Jahrhunderts verboten. Erhalten blieb diese Tradition dank ihrer großen Beliebtheit nur auf Mallorca und in Algero auf Sardinien.
Die balearische Regierung hat im Jahre 2004 den „Cant de la Sibil.la“ zum „Geistigen Kulturgut“ erklärt. Im Jahre 2010 ist dieser Gesang in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen worden.